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Tschup - Die erste Seite

Tschup


Der schnullersammler


Rettungsaktion

„Was für ein gigantischer Tag!“ Ferdinand steht am Steg vom Bootshaus, das er zu einer Wohnung umgebaut hat, und genießt eine Pfeife. Ein rotes Eichhörnchen, von der Frühjahrssonne aufgeweckt, sitzt ihm gegenüber auf dem Geländer und knabbert an einem Sonnenblumenkern herum, der eigentlich für die Vögel gedacht war. Beim Anblick des Kerlchens lächelt er. In dem Moment kommt ihm seine Enkelin Luna in den Sinn und das Lächeln intensiviert sich. Was ist sie mit ihren vier Jahren für eine pfiffige Dame. Bevor sie völlig übermüdet auf seinem Sofa eingeschlafen ist, hat sie am Vormittag den halben Wald mit ihm gemeinsam hierhergebracht und zu Tieren aus Zweigen und Behausungen aus Moos verbastelt. Schade, dass sie nicht länger bei ihm bleiben kann. Morgen ist Oma-Tag. Er seufzt. Gerne würde er zusammen mit seiner von ihm getrenntlebenden Frau Serafina die Zeit gemeinsam mit der Enkelin verbringen. Genüsslich zieht er an der Pfeife und schaut am Ufer entlang bis hinüber zum einzigen Nachbarhaus in dieser Gegend. Die Welt sieht hier stets so friedlich aus, ihm gegenüber so freundlich gesinnt. Schade, dass seine Frau das nie so gesehen hat, sich mehr vor der Einsamkeit hier draußen gefürchtet hat, anstatt sie wie ein Geschenk zu betrachten.

„Hilfe!“, hört er jemanden gedehnt schreien.

Augenblicklich fragt er sich, ob bei seinem Nachbarn Christian wieder Jugendliche herum­schleichen und sich ein Späßchen erlauben? Öfter schon hat er sie von seinem Grundstück vertrieben, weil die Jungspunde seinen Schuppen als Partylager missbrauchten.

Erneut ein Schrei. Spitzer als der erste.

Sofort beschleunigt sich Ferdinands Atem. Die Stimme klingt nicht wie die eines angetrunkenen Halbwüchsigen, eher wie die von Christian. Die glatte Wasseroberfläche trägt einen weiteren Ruf zu ihm herüber.

„Hilfe!“ Die Stimme hört sich panisch an.

Über das Geländer der Veranda spähend schaut er zum Haus am Waldrand hinüber. Unter ihm klatschen die Wellen vom See an die Planken, als wollten sie ihn dazu antreiben, nach Christian zu sehen. Leider versperrt ihm das Schilf am Ufer die Sicht.

„Christian“, schreit er wissend, sodass man über den See hinweg auf der anderen Seite jedes Wort versteht.

Keine Antwort.

Erneut ruft er seinen Namen.

Stille.

Text von Sina Land

Cover von Sina Land

Auszug aus dem Buch "Silva - Der vertraute Platz im Gespensterwald"