*Ist man nicht immer so alt, wie man sich gerade fühlt?*
Ich nehme einen Schluck von meinem frisch aufgebrühten Tee, verziehe das Gesicht und möchte ihn sofort wieder ausspucken.
Meine Freundin sieht mich verwundert an.
"Schmeckt er nicht?"
Ich bin schwer am nachdenken, aber die zündende Idee liegt bald auf der Hand. Am Morgen wollte ich den Teekocher entkalken und habe Apfelessig hineingegossen. Offensichtlich habe ich das Wasser für den Tee einfach oben drauf geschüttet. Ein Lachanfall schüttelt mich durch, während ich den Tee ins Spülbecken gieße und den ihren gleich mit dazu.
"Du lachst, wie mit zwölf. Da warst du den Lehrern immer zu laut", schüttelt meine Freundin den Kopf.
"Dann bin ich heute eben wieder ein Teenager", sage ich trotzig. "Vor zehn Jahren hat mir ein Arzt gesagt, dass meine Wirbelsäule aussieht, als wäre ich neunzig. Das ist nur ausgleichende Gerechtigkeit."
"Na dann, bist du heute also zwölf."
"Ach, was ist denn schon das Alter", winke ich ab. "Ist es das, was im Ausweis steht und in Zahlen ausgedrückt wird. Oder ist es das, wie man sich fühlt?" Ich spüle den Wasserkocher aus und gieße genießbares, frisches hinein. "Ich denke für heute nehme ich das gefühlte Alter. Das steht mir im Moment besser und nehme anstatt Gebrechlichkeit heute mal lieber die Pickel im Gesicht in Kauf."
Text: Sina Land
Bild: Pixabay